Bitcoin und Menschenrechte: Interview mit Anita Posch

In diesem Interview sprechen wir mit der Bitcoin-Beraterin, Autorin und Gründerin der Initiative "Bitcoin for Fairness" sowie des Online-Lernprogramms "Crack the Orange" Anita Posch. Sie gilt als große Befürworterin von Self-Custody, Privatsphäre und finanzielle Unabhängigkeit und setzt sich international für die Stärkung von Menschenrechten ein.

Seit vielen Jahren arbeitet Anita unermüdlich an der Förderung von Bitcoin als Werkzeug für finanzielle Freiheit & Inklusivität und wirkt bedeutend an der Aufklärung von Menschen zum Thema Bitcoin mit.

Mit ihrem Buch "(L)earn Bitcoin", ihrer digitalen Lernplattform "Crack the Orange", der Initiative "Bitcoin for Fairness" und ihrem YouTube-Kanal animiert sie Menschen weltweit zur Kreativität, Innovation und Freiheit durch Bitcoin. Ihre Arbeit ist weithin anerkannt und ihre Bemühungen wurden in verschiedenen internationalen Medien vorgestellt, darunter Bitcoin Magazine, CoinDesk, What Bitcoin Did und viele mehr.

Anita im Portrait

Anita Posch

Ich bin Anita Posch, strategische Bitcoin-Beraterin, Autorin des Buches (L)EARN BITCOIN und Gründerin des Online-Lernprogramms "Crack the Orange". Außerdem bin ich die Gründerin von "Bitcoin for Fairness", einer gemeinnützigen Initiative, die sich auf die Bitcoin-Adoption im Globalen Süden durch Bildung und Unterstützung lokaler Projekte vor Ort konzentriert. In meiner Arbeit fokussiere ich mich vor allem auf Bitcoin als Tool für die Stärkung von Menschenrechten, weshalb ich eine starke Befürworterin von Self-Custody, Privatsphäre und finanzieller Autonomie bin.

Fragen & Antworten

1. Wie bist du erstmals auf Bitcoin aufmerksam geworden, und was hat dich dazu inspiriert, dich so intensiv damit zu beschäftigen?

Ich habe das erste Mal 2011 von Bitcoin gehört, es damals allerdings als neues PayPal missverstanden und negiert. 2017 hat es bei einem Vortrag von Shermin Voshmgir Klick gemacht. Ihre Erläuterungen über die technischen und sozialen Aspekte von Bitcoin haben mich stark beeindruckt. Meine beruflichen Erfahrungen als Stadtplanerin sowie Gründerin von Internet-Plattformen und E-Commerce-Projekten  waren die Basis, die Tragweite Bitcoins zu verstehen. Kombiniert mit meinen persönlichen Erlebnissen mit Diskriminierung aufgrund meiner Homosexualität und die Erzählungen meiner Großeltern über die Machtübernahme der Nazis in Österreich und der Verbrechen des Zweiten Weltkrieges waren die Grundlage Bitcoin als Werkzeug zur Durchsetzung von Menschenrechten zu erkennen. All das gab mir die  Motivation, mich intensiv mit Bitcoin zu beschäftigen.

2. Welche spezifischen Herausforderungen siehst du beim Einsatz von Bitcoin in Entwicklungsländern, insbesondere im Hinblick auf Bildung und Zugänglichkeit?

Das größte Problem für uns mit Bitcoin for Fairness ist es, vor Ort vertrauenswürdige Personen zu finden, die lokale Initiativen langfristig betreuen. In Sambia ist uns das gelungen, dort existiert nun eine lokale, eigenständige Bitcoin for Fairness Gruppe, die regelmäßig Meetups organisiert und Bildung vorantreibt. In Simbabwe ist uns das trotz mehrfacher Durchführung von Workshops und Vorträgen leider noch nicht gelungen, die Menschen dort haben zu viele Probleme in ihrem Alltag zu lösen und zu wenig Mittel, um Initiativen voranzutreiben. Immerhin hat sich eine WhatsApp Gruppe mit 300 Mitgliedern gebildet. Für uns mit BFF ist die Finanzierung der Bildungsangebote durch Spenden eine große Herausforderung. Bitcoin hat keine Marketing-Abteilung, die unsere Arbeit finanziert. Um das Ziel von BFF zu erreichen, nämlich Bitcoin für weniger privilegierte Menschen zugänglich zu machen, um das Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd zu verkleinern, muss Bildung kostenlos sein. 
Ein riesiges Problem sind Scams, die die Menschen vor Bitcoin abschrecken. Es ist intensive Aufklärungsarbeit notwendig, um die Menschen über die Funktionsweise von Bitcoin aufzuklären und Vertrauen aufzubauen. Bitcoin Bildung ist ein fortlaufender Prozess, der viel Zeit und Unterstützung erfordert, insbesondere, wenn die Technologie mit den Bedürfnissen der Menschen noch nicht mithält. Die steigenden Transaktionskosten für Bitcoin, die gleichzeitig Self-Custody im Lightning Netzwerk verteuern, sind momentan eine Barriere für Neulinge. Es gilt auch die besonderen Gegebenheiten in diesen Ländern zu berücksichtigen, um die Bedürfnisse und Anforderungen wirklich zu verstehen, ist es wichtig, vor Ort zu sein und mit den Menschen direkt Kontakt zu haben.

3. Kannst du beschreiben, wie Bitcoin dazu beitragen kann, Menschen in abgelegenen Gebieten finanziell zu integrieren?

Bitcoin bietet eine alternative Finanzinfrastruktur, die unabhängig von traditionellen Banken und Regierungen ist. Bitcoin bietet einfache und sichere Möglichkeiten, Geld zu senden und zu empfangen, auch in entlegenen Gebieten, wo es gar keine Banken gibt.  Bankgebühren sind in Afrika häufig sehr hoch, im Vergleich deutlich höher als im Westen. Nach viel Missbrauch trauen die Menschen den Banken auch nicht im selben Ausmaß wie in Österreich oder Deutschland. Es gibt keinen Konsumentenschutz in vielen afrikanischen Ländern, die Menschen sind den Institutionen ausgeliefert. In ländlichen Gegenden, wo es weder Straßennamen noch Grundbuch gibt, ist die Notwendigkeit Ausweispapiere und einen fixen Wohnsitz vorzuweisen, um ein Bankkonto eröffnen zu können, eine von westlichen Institutionen erzwungene  Regulierung, die Milliarden Menschen ausschließt. Bei Bitcoin kann jeder Mensch innerhalb weniger Minuten eine Wallet eröffnen - ganz ohne Nachweise oder Verifizierungen. Dadurch fördert Bitcoin die finanzielle Inklusion und die wirtschaftliche Teilhabe für Menschen in entlegenen Gebieten.

4. Wie schätzt du die Rolle von Bitcoin in Bezug auf die globalen Menschenrechte ein, insbesondere in Afrika, wo der Zugang zu traditionellen Bankdienstleistungen oft eingeschränkt ist?

Leider hat Afrika die höchste Dichte an autoritären Regierungen weltweit. Bitcoin ermöglicht den Menschen, deren Bankkonten gesperrt oder die finanziell unterdrückt werden, weil sie z.B. gegen die Machthaber protestieren, weiterhin Geld zu senden und zu empfangen. Frauen dürfen in vielen Gegenden nicht erben oder sind abhängig von Männern, sie können durch Bitcoin erstmals finanzielle Unabhängigkeit erlangen. Bitcoin bietet den Menschen eine Alternative zu den stark inflationären nationalen  Währungen in vielen Staaten Afrikas und eine Möglichkeit, die  strengen Finanzrestriktionen zu umschiffen. Bitcoin ermöglicht finanzielle Freiheit und Schutz vor korrupten Regimen und ineffizienten Finanzsystemen.

5. Wie könnten Bitcoin und die Blockchain-Technologie zur Verbesserung der Transparenz und Effizienz in öffentlichen Sektoren weltweit beitragen?

Offene Blockchains ermöglichen es, Transaktionen öffentlich und unveränderlich zu speichern. Regierungen könnten nach der Vergabe von Mitteln zur Rechenschaft gezogen werden, womit  Korruption erschwert wird. Da alle Transaktionen für jeden einsehbar und nachvollziehbar sind, könnte das Vertrauen der Bürger in die Demokratie gestärkt und die öffentliche Kontrolle über die  Verwaltung gesteigert werden.

6. Welche Projekte oder Initiativen haben dich kürzlich am meisten inspiriert, und was planst du als Nächstes?

Mit Bitcoin for Fairness haben wir ein Online-Lernprogramm für angehende Community-Gründer in Afrika geschaffen. Bewerbende können ein Stipendium erhalten und werden 12 Monate lang mittels Online-Kurs und Live-Calls mit mir darauf vorbereitet, Bitcoin-Wissen zu verbreiten. Diese Stipendien finanzieren wir mit Spenden, diese zu finden, ist ein großer Teil meiner Arbeit.
Auf cracktheorange.com gibt es auch einen Online-Kurs für alle, die in strukturierter Form mehr über Bitcoin lernen wollen, mit konkreten Tipps zur sicheren Anwendung. Des Weiteren plane ich eine Neuauflage meines Buches (L)earn Bitcoin.

7. Wie beurteilst du den aktuellen Regulierungsrahmen für Bitcoin in verschiedenen Ländern?

Die Regulierungsrahmen in afrikanischen Ländern variieren stark. Südafrika z.B. hat klare Vorschriften für den Umgang mit Bitcoin, während andere gar keine oder sehr restriktive Maßnahmen ergreifen. Die Durchsetzungskraft dieser Regulierungen ist eine andere Frage. In Nigeria wurde ein Bitcoin-Verbot ausgesprochen, um den digitalen Naira einzuführen. Nigeria ist - vielleicht gerade deshalb - das Land mit der höchsten Bitcoin Nutzung weltweit und das Zentralbankgeld wird kaum verwendet. Bildung ist wichtiger als Regulierung, da Regulierungen immer umgangen werden können. Diese Regeln gelten dann meist für die allgemeine Bevölkerung, nicht für die, die es sich richten können. Das Bitcoin-Netzwerk ist selbstregulierend, Scams, die den meisten Schaden anrichten, werden durch Regulierungen nicht gestoppt. Regulierungen bilden Hindernisse, kosten viel Geld in der Umsetzung, bauen Bürokratie auf, sind ineffizient, greifen durch Datensammlung in die Privatsphäre aller ein und es entsteht ein Überwachungstool für die Behörden.

8. Wie begegnest du Skeptikern von Bitcoin und was sind die häufigsten Missverständnisse, die du aufklären musst?

Skepsis ist etwas Gutes. Nicht ohne Grund ist einer von Bitcoins Leitsprüchen “Don’t trust, verify”. Ich habe selbst einige Monate intensiv recherchiert und über Bitcoin gelernt, bevor ich ein wenig Geld in die Hand nahm und es bei Coinfinity in Bitcoin getauscht habe. Es ist positiv, wenn Menschen viele Fragen stellen. Die ersten Fragen sind in afrikanischen Ländern immer: “Ist Bitcoin ein Scam?”, während Österreich und Deutschland mir meistens ein: “Bitcoin schädigt die Umwelt, daher Nein danke.” entgegenschlägt. In unseren Breitengraden wird Bitcoin häufig als  reines Spekulationsinstrument gesehen, während es im globalen Süden oftmals als Zahlungsmittel und zum Geldtransfer verwendet wird. Es ist wichtig, Geduld zu haben und skeptischen Personen fundierte Informationen bereitzustellen, um Bedenken auszuräumen - am besten, indem man zeigt, wie Bitcoin ihnen konkret helfen kann.

9. Wie wird sich die Technologie hinter Bitcoin in den nächsten 5 bis 10 Jahren entwickeln und welche Auswirkungen kann das auf die globale Wirtschaft haben?

Ich denke, wir werden eine breitere Akzeptanz von Bitcoin als Wertspeicher und als Zahlungsmittel sehen. Das Lightning Netzwerk optimiert Bitcoin hinsichtlich Schnelligkeit, Skalierung, Privatsphäre und ermöglicht Mikrozahlungen. Neue E-Cash-Systeme wie Fedi und Cashu oder die Nutzung des Liquid-Netzwerks machen Transaktionen günstiger und können offline getätigt werden, was vor allem Menschen in Entwicklungsländern mit häufigen Ausfällen des Stromnetzes oder Internets zugutekommen wird. Bitcoin ist durch seine offene Zugänglichkeit und Neutralität faires Geld, wodurch es das Wohlstandsgefälle reduzieren  und die wirtschaftliche Gleichheit verbessern kann. Bitcoin-Mining unterstützt den Ausbau alternativer Energien und bringt Elektrizität in entlegene Regionen Afrikas. Wer in Bitcoin spart,  reduziert unnötigen Konsum  und handelt langfristig, was im Sinne der Bekämpfung des Klimawandels ist. Insgesamt könnte Bitcoin zu einem wirtschaftlichen Aufschwung insbesondere im globalen Süden führen, die Weltwirtschaft gerechter und nachhaltiger gestalten. Faires Geld, faire Welt: Es mag widersinnig klingen, aber wer Bitcoin in Selbstverwahrung nutzt (nicht bei Börsen wie Bitpanda, Kraken, Coinbase etc.), trägt zu positivem Wandel bei.

Wer mehr über “Bitcoin und Menschenrechte” erfahren möchte, kann am 16.5.2024 in Fernitz bei Graz zu einem Vortrag von Anita Posch vorbeikommen. Mehr Informationen unter https://bitcoin-austria.at/event/bitcoin-menschenrechte-anita-posch/